
Literaturmix
Wilfried Steiner „Schöne Ungeheuer“ | Thomas Raab: „Jedermanns Dämon“
Auf der Suche nach der Wahrheit stoßen die Protagonisten in „Schöne Ungeheuer“ auf bahnbrechenden Entdeckungen und besessene Wissenschaftler. „Jedermanns Dämon“ entwickelt sich zu einem psychoanalytisches Kammerstück im Zwiespalt zwischen bürgerlichem Aufstieg und proletarischer Revolte.
„Schöne Ungeheuer“
Der geniale Physiker Jan Koller wird am Vorabend eines Kongresses tot aufgefunden. Wenig später wird die Täterin verhaftet: Jelena Karpova, Forscherkollegin von Koller am CERN in Genf, hat den Mord gestanden. Doch nicht alle sind von Jelenas Schuld überzeugt: Ihre Anwältin Eva Mattusch glaubt, dass Karpova durch ihr Geständnis den wahren Täter schützen will. Gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Georg Hollaus beginnt Mattusch selbst zu ermitteln.
Ihre Nachforschungen führen sie nach Genf und tief hinein in das faszinierende Forschungszentrum CERN. Sie tauchen ein in die Welt besessener Wissenschaftler, die nichts weniger ergründen wollen als die Entstehung des Universums, eine Sphäre voller komplexer physikalischer Theorien, aber auch reich an Eitelkeiten und Eifersucht, Konkurrenz und Intrigen. Verbirgt sich hier, in den schillernden Windungen des Large Hadron Collider, die Lösung des Rätsels um Jelena Karpova? Oder hat die Stadt Genf noch andere Antworten zu bieten? Schließlich wurde hier nicht nur Wissenschafts-, sondern auch Literaturgeschichte geschrieben: Zweihundert Jahre zuvor entstand in der Villa Diodati am Genfer See der Roman Frankenstein, der von den Grenzen der Wissenschaft erzählt, ihrer Hybris und ihrem Scheitern.
Die Literatur und die Naturwissenschaft, der Journalist und die Juristin: Sie alle treibt die Suche nach der Wahrheit um, nach der einen Erzählung, die alles erklärt. Wilfried Steiner gelingt das Kunststück, diese so unterschiedlichen Welten zusammenzuführen in einem ebenso inspirierenden wie unterhaltsamen Roman, der an vielen Stellen überrascht und den Blick weitet für die Wunder einer verborgenen Welt.
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„Jedermanns Dämon“
Der Protagonist, Werbetexter als Jedermann, flieht vor einer nicht näher gekennzeichneten „Seuche“ in die ländliche Gegend, aus der vor Generationen seine Familie in die Stadt migrierte, und er flieht auch vor seinen eigenen Erinnerungen und Träumen, die durch eine persönliche „Katastrophe“ ins Albtraumhafte, Surreale und Traurige ragen. Trotz partieller Amnesie verfolgt ihn seine Vergangenheit, weil sie Glück und Ruhe versprach, das der Ich-Erzähler mit unsicherer Aussicht wegwarf.
Er nimmt Quartier in einer Pension in einem alten Schloss im Ort Memersdorf, in der außer ihm nur noch eine Verwalterin und ein Hausdiener wohnen und arbeiten. Auch sie beide sind undeutliche Gestalten, Stellvertreter einer höheren Macht einerseits, Arbeitstier im flachen Land andererseits, und der Ich-Erzähler ist von ihnen wechselweise angezogen und abgestoßen, weil er in seiner Herkunftsfamilie einen ähnlichen Zwiespalt zwischen bürgerlichem Aufstieg und proletarischer Revolte und Delinquenz zu erkennen ahnt.
Es entwickelt sich ein psychoanalytisches Kammerstück.