S. Scholl erzählt von neun Frauenschicksalen im 2. Weltkrieg zwischen Widerstand, Anpassung und Schweigen. In der Lesung von L. Arnautović geht es um ihre Familiengeschichte das Drama des 20. Jahrhunderts in Wien, Moskau und im Gulag. T. Paar behandelt Emigration und Vertreibung einst & heute.
„Die im Schatten, die im Licht“ – Roman über Frauen im Zweiten Weltkrieg
JE MEHR WIR ÜBER DIE VERGANGENHEIT WISSEN, DESTO MEHR WISSEN WIR ÜBER UNS SELBST!
Sabine Scholl im Gespräch über die Entstehung ihres Romans
„Was war die Initialzündung für diesen Stoff?“
Durch Zufall stieß ich auf eine Notiz über Widerstand gegen das Naziregime in einem Dorf nahe meines Herkunftsortes. Um Genaueres zu erfahren, suchte ich im Privatarchiv des Schlos- ses, das einem Freund gehört, nach Material über die Aktivitä- ten seiner aristokratischen Großmutter, konnte in ihren Briefen und Tagebüchern blättern.
„Wohin haben dich diese ersten Rechercheergebnisse geführt?“
Daraufhin wollte ich wissen, wie Frauen, die nicht so privilegiert waren wie jene Gräfin, den Zweiten Weltkrieg erlebt hat- ten, was ihre Strategien gewesen waren, mit der schwierigen Situation, die sie allein – ohne ihre Ehemänner – bewältigen mussten, zurechtzukommen. Ich forschte nach Arbeiterinnen, Bäuerinnen, aber auch jüdischen Frauen, die in der nächstgrö- ßeren Stadt gelebt hatten. Es sollten dabei immer Frauen an mir gut bekannten Orten sein. Also kamen auch die Gegend um Salzburg, ein See in den steirischen Alpen und sogar Paris in Frage. Überall fand ich interessante Details, über die ich bis da- hin nichts gewusst hatte.
„Was macht den Widerstand der Frauen aus?“
Die Geschichte von Kriegen wurde lange Zeit nur aus männ- licher Sicht geschrieben. So verhält es sich auch mit dem Widerstand. Außer der Ikone Sophie Scholl wurde dessen weibliche Seite oft vernachlässigt. Dabei wäre ohne die Hilfe und den Mut der Frauen vieles nicht möglich gewesen. Auch dazu gibt es nicht so viele Quellen, wie zum männlichen Widerstand. Sorgearbeit wurde sowohl damals als auch heute als selbstverständlich und nicht als wertvoller Beitrag erachtet.
„Warum überhaupt diese vergangenen Ereignisse aufgreifen?“
Erstens, weil es ohne die weibliche Perspektive kein vollständiges Bild der Vergangenheit, also auch des Zweiten Weltkriegs gibt. In der bislang tradierten Geschichte kommen Frauen vor allem als Mütter, Mitläuferinnen, Megären oder Opfer vor. Nicht als aktive, innerhalb ihres – zugegebenermaßen oft eingeschränkten – Spielraums gestaltende Frau. Und zweitens, weil wir Nachgeborene unsere Identitäten auf deren Geschichten aufbauen. Je mehr wir darüber wissen, desto mehr erfahren wir über uns selbst.
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Lesung
In dieser Doppellesung der österreichischen Autorinnen Ljuba Arnautović und Tanja Paar geht es um Exil, das Aufbrechen und das Ankommen – Themen, die gerade heute sehr aktuell sind. Ljuba Arnautović erzählt mit ihrer Familiengeschichte das Drama des 20. Jahrhunderts in Wien, Moskau und im Gulag. Tanja Paar beschäftigt sich in ihrem Roman „Die zitternde Welt“ mit Emigration, Krieg und Vertreibung. Beim Kultursommer 2022 präsentieren die beiden Autorinnen eine Collage aus ihren Romanen und aktuellen Recherchen.
Ljuba Arnautović, geboren 1954 in Kursk (UdSSR), lebt in Wien. Nach dem Studium der Sozialpädagogik arbeitete sie für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, als Russisch-Übersetzerin und Rundfunkjournalistin. Ihr erster Roman, „Im Verborgenen“, stand auf der Shortlist Debüt für den Österreichischen Buchpreis 2018. Zuletzt erschien 2021 ihr Roman Junischnee bei Zsolnay.
Tanja Paar, in Graz geboren, schreibt Prosa, Stücke und Essays. Sie studierte Philosophie und Geschichte in Lausanne und Wien, wo sie heute als Schriftstellerin lebt. Sie arbeitete am Theater und für diverse Medien. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen und Preise, darunter das Wiener Dramatik Stipendium 2021. Über ihr Studium der Informatik schrieb sie den Blog »Mama geht studieren«. Sie arbeitet interdisziplinär und multimedial. 2021 wurde sie für ihr Romanprojekt »Der Ziegenzirkus« mit dem Robert Gernhardt-Preis ausgezeichnet.